Folge 9 | 26. April 2021 | 60 Minuten

Wie führt man einen Verein, in dem Mitarbeiter-Stellen immer abhängig von Fördermitteln sind?

Unser heutiger Gast ist Stephanie Tiepelmann-Halm. Stephanie ist Geschäftsführerin im Verein Schrankenlos e.V. in Nordhausen. Der Verein führt u.a. interkulturelle Bildungsangebote durch und führt einen Weltladen mit Café, in dem wir uns zu unserem Gespräch treffen. 

2008 wurde Stephanie in den Vorstand des Vereins gewählt. Nachdem es anfänglich eher eine Formalie war, als Vorstand eingetragen zu sein, entwickeln sich im Laufe der Jahre 2011/2012 Veränderungen auf Leitungsebene und Stephanie merkte, dass sie Lust hatte, mehr Verantwortung für den Verein zu übernehmen und ist somit Geschäftsführerin des Vereins geworden.

Stephanie selber ist Sozialpädagogin und sieht sich in ihrer Rolle als Geschäftsführerin eher als „Schafshüterin ihrer Herde“ – den Status Geschäftsführerin findet sie für sich etwas steif. Ihre Aufgabe ist es „dass der Laden läuft“. Dafür hat sie 14 Stunden pro Woche Zeit. So hoch ist der Anteil, der in ihrer Vollzeitstelle für die geschäftsführende Tätigkeit vorgesehen ist. Den Rest der Zeit verbringt Stephanie mit der Arbeit in Projekten, die der Verein durchführt. Kein Wunder, sagt sie selbst, dass einige KollegInnen das Gefühl haben, dass Stephanie wenig da wäre. Zu ihrer Arbeit als Geschäftsführerin gehört neben den administrativen Tätigkeiten Lobbyarbeit, Termine mit Kooperationspartnern wahrzunehmen und GeldgeberInnen zu gewinnen. Dabei versucht sie, sich auch an anderen Organisationen zu orientieren: Wie machen es andere? Wie gehen diese mit Verantwortungen um?

Der Verein hat sich inzwischen zum Arbeitgeber entwickelt, das war damals bei ihrem Einstieg noch nicht absehbar. Da stellt sich Stephanie die Frage: 

„Sind wir noch die, die wir damals waren?“

Eine besondere Herausforderung in der Arbeit im Verein ist die Finanzierung der Projekte und damit auch der MitarbeiterInnen. Projektausschreibungen, Fördermittel von der Stadt, Kooperationen usw. finanzieren den Verein, unterstützt durch Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung und Beziehungspflege. Eine Aufgabe, die maßgeblich zu den Aufgaben der Geschäftsführerin gehört. Jedes Jahr auf’s Neue muss die Finanzierung geregelt und Notwendigkeit der Vereinsarbeit bewiesen werden – insofern ist nicht nur Stephanie allein für die Finanzierung zuständig, jeder trägt die Verantwortung für den eigenen Arbeitsplatz mit und muss sich in seiner Arbeit beweisen und in die Finanzierung mit einbringen. Nur so kann die Notwendigkeit der Spenden und Fördermittel bestätigt werden. 

Eine Herausforderung empfindet Stephanie dabei auch in den oft so anderen Strukturen der Unternehmen, mit denen der Verein vernetzt ist. Das Einbringen neuer Ideen und Impulse ist dabei nicht immer einfach. Dafür ist es nötig sich sowohl im Verein als auch im Netzwerk gegenseitig Rückendeckung zu geben und sich zu unterstützen.

Die Menge an Aufgaben und Verantwortungen empfindet Stephanie, neben der Freude manchmal auch als Belastung. Und so treibt sie und ihr Team die Frage um: Wie kann Verantwortung auf mehrere Schultern übertragen werden? Wie können Aufgaben besser verteilt werden? Dabei stellt sie fest, dass die Lust und der Mut für eine Verantwortungsübernahme im Team sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Stephanie beschreibt außerdem, dass es eine Offenheit sich auszuprobieren und die Freude an Partizipation/ Mitgestaltung braucht, um bei Schrankenlos e.V. mitzuwirken. Dabei stellt Stephanie jedoch kritisch fest, dass sie ihre MitarbeiterInnen manchmal auch etwas überfordert, wenn sie gleich zu Beginn sagt, dass sie sich völlig frei ausprobieren können.

„Ich habe gemerkt, dass Menschen Struktur brauchen.“

Gleichzeitig braucht Stephanie jedoch MitarbeiterInnen, die sowohl zurückmelden, welche Struktur sie benötigen und gleichzeitig einen hohen Grad an Eigenverantwortung mitbringen. Sie braucht MitarbeiterInnen, die mitdenken und Ideen einbringen – nur so können Angebote des Vereins an den Bedürfnissen der Zielgruppe(n) und Geldgebenden entwickelt werden. Das wiederum ist die Grundlage für die Arbeit des Vereins: Interessen wahrzunehmen, Projektideen zu entwickeln, Projektanträge zu verschriftlichen und die Finanzierung zu bewerben.

Stephanie nimmt dabei schon teilweise eine Überforderung wahr, dass ihre Mitarbeitenden nicht immer den Anforderungen (Projekte planen, verschriftlichen etc.) gerecht werden können und muss dafür in Kauf nehmen, dass Projekte auf der Strecke bleiben, Gelder nicht fließen und dafür Stellen eingespart werden. 

„Entweder gibt es ein Anschlussfinanzierungsprojekt, dann muss die Person sich eben mit einbringen oder sie sagt, es war eben nur ein Punkt auf meiner Reise und geht weiter“

Zur guten Führung hingegen gehört für Stephanie auch, nicht jede Entscheidung bis ins Kleinste durchzudiskutieren. Sie versucht die MitarbeiterInnen einzubeziehen, möchte flache Hierarchien schaffen, coachen und mit Methoden kreativ arbeiten. Dabei stellt sie fest, dass sie damit gar nicht immer richtig liegt. So versucht Stephanie Vorschläge und Ideen nicht vorzugeben, sondern vielmehr das Team zu motivieren über den Tellerrand zu schauen. Einige KollegInnen melden jedoch eher Irritation darüber zurück und scheinen sich eher die klassische Führungskraft zu wünschen. Ein täglicher Balanceakt zwischen zu viel und zu wenig Frei- und Gestaltungsraum.

„Bin ich mittlerweile überhaupt noch die richtige für den Job?“

So reflektiert sich die Geschäftsführerin regelmäßig und tauscht sich mit anderen FührungskollegInnen aus. Sie liest viel, lässt sich selber coachen und merkt kritisch an, dass sie sich an mancher Stelle vielleicht sogar zu viel kritisch reflektiert. In solchen Momenten macht sie sich Erfolgserlebnisse ihrer Arbeit bewusst und versucht sich an den positiven Entwicklungen, die sie geschaffen hat, zu erinnern. Gleichzeitig sucht sie sich gezielt neue Impulse, möchte in anderen Einrichtungen hospitieren und sucht den Austausch mit anderen Führungskräften, um von ihnen zu lernen.

Doch gerade in dieser von Corona geprägten Zeit ist es wieder eher trubelig. Vieles ist in Bewegung, viele Fragen werden gestellt. Visionsbildung und die Frage „Wer sind wir eigentlich?“ treiben die Mitarbeitenden, aber auch Stephanie um. Stephanie fragt sich, wie sie sich als Führungskraft entwickelt und beschäftigt sich mit der Frage, warum sie von ihren Mitarbeitenden kein (positives) Feedback erhält. Ihr fällt auf, dass Feedback an die Führungskraft eher selten passiert, und fragt sich wie sie dieses Feedback einfordern kann. 

Dabei fällt ihr auf, dass es scheinbar wenige Vorbilder an Führungskräften gibt, die auch mal an sich zweifeln, menschlich sind und zugeben, dass es auch mal nicht so läuft. Das möchte Stephanie gerne ändern: Sie möchte nah an den Menschen sein, gemeinsam etwas schaffen, gepaart mit einer Fehlerfreundlichkeit, die auch mal ein nicht lehrbuchhaftes Verhalten der Führungskraft verzeiht.

Wir bedanken uns für den leckeren Kaffee, die beste Schokolade und den so herzlichen Empfang…und natürlich für das offene und ehrliche Gespräch mit dir, Stephanie!